Gastbeitrag von Konstantin Demeter

Die bei weitem grösste Gefahr der Künstlichen Intelligenz besteht darin,
dass die Menschen zu früh zu dem Schluss kommen, sie würden sie verstehen.
Eliezer Yudkowsky

Liebe Leserinnen und Leser

KI-BOOM! Wie ein Meteorit ist die Zukunft mit voller Wucht in den Alltag vieler Menschen eingeschlagen. Lange war die Künstliche Intelligenz (KI) eher im Hintergrund präsent. Bewusst war sie den meisten bis anhin vor allem als Zukunftsszenario in den Medien, das von Utopie bis Dystopie reichte.

Damit ist nun Schluss: In den letzten Monaten hat eine atemberaubende Entwicklung dieser Technologie stattgefunden und sie prescht exponentiell voran. Von vorwiegend Analyse, Bewertung und Berechnung ist sie zur Erzeugung übergegangen. Ob Bilder, Videos, Musik oder Texte: Inzwischen sind die «Werke» der KIs oft kaum mehr von menschengemachten Werken zu unterscheiden.

Bei zahlreichen Tätigkeiten wird der Mensch durch diese «Maschine» obsolet oder seine Arbeit massiv verändert werden: Vom Programmierer und Mathematiker über den Grafiker und den Musiker bis hin zum juristischen Sekretär. Auch der Journalismus wird nicht ungeschoren davonkommen. Selbstverständlich werden die körperlichen Berufe am wenigsten davon betroffen sein.

So analysierte zum Beispiel eine neue Studie die potenziellen Auswirkungen von grossen Sprachmodellen (LLMs), wie die GPTs, auf den US-Arbeitsmarkt. Die Autoren schätzen, dass bei etwa 80 Prozent der US-Arbeitskräfte mindestens 10 Prozent ihrer Arbeitsaufgaben von der Einführung von LLMs betroffen sein könnten. Bei etwa 19 Prozent der Arbeitnehmer würden sie hingegen mindestens 50 Prozent ihrer Aufgaben beeinflussen.

Die prognostizierten Auswirkungen würden sich über alle Lohnniveaus erstrecken, wobei Arbeitsplätze mit höherem Einkommen potenziell stärker betroffen seien. Die Forscher kommen zu dem Schluss, dass LLMs «Züge von Allzwecktechnologien aufweisen, was darauf hindeutet, dass sie erhebliche wirtschaftliche, soziale und politische Implikationen haben könnten».

Dabei ist zu berücksichtigen, dass solche Sprachmodelle nur ein Bereich der KI sind. Da ich auch als Fotograf tätig bin, habe ich mich mit KI-Bildgeneratoren befasst: Die Resultate sind verblüffend und sie werden laufend besser.

Als Beispiel die beiden Bilder unten. Ich habe sie mit Midjourney mit der folgenden Instruktion (genannt «Prompt») erstellt (beim Bild links habe ich anstatt «proud» «smiling» eingegeben und «2/3 view» entfernt): «Outdoor portrait a of very old proud japanese man with deep wrinkles, photorealistic, artistic photography in the style of Anton Corbjin and Lee Jeffries, black and white, high contrast, dramatic light, highly detailed, 2/3 view, f/1.8, 300mm, Ilford HP5 Plus 400 ISO, —ar 3:4 —v 5».

Die Bilder habe ich bewusst nicht bearbeitet. Einzig die Grösse habe ich für den Versand etwas reduziert, im Original ist die Qualität somit noch besser.

Wie täuschend echt solche KI-Bilder inzwischen sind, beweist der Vorfall des US-amerikanischen Fotografen Jos Avery. Wie Euronews berichtete, hat Avery 179 Bilder mit dem Namen der porträtierten Person und einer Anekdote über dessen Leben auf Instagram veröffentlicht. Mehr als 32’000 Menschen folgten ihm. Avery hatte behauptet, die Porträts seien mit einer Nikon D810-Kamera aufgenommen worden. Wie er jedoch gegenüber Ars Technica gestand, benutzte er dafür ebenfalls Midjourney. Die Bilder hat Avery dann mit Photoshop feinbearbeitet.

So real wirken von der KI erstellte Bilder und Videos von Menschen, dass man mittlerweile sogar KI-Models erstellen und «mieten» kann. Doch es lassen sich damit auch reale Personen virtuell erzeugen und man kann sie sogar mit ihrer eigenen Stimme sprechen lassen. Eine der Gefahren dieser Täuschung sind die sogenannten Deepfakes – realistisch wirkende Medieninhalte: Wie werden wir sie in Zukunft von echten Inhalten unterscheiden können?

Das horrende Tempo, mit der die KI vorantreibt, zeigt beispielsweise die Tatsache, dass GPT-4 im Gegensatz zu ChatGPT Fangfragen erkennen und erklären kann, weshalb ein Witz lustig ist: ChatGPT, das erste Sprachmodell dieser Serie, wurde im November 2022 lanciert, GPT-4 Mitte März dieses Jahres.

Die Geschwindigkeit dieser Entwicklung macht selbst ihren Machern und anderen Tech-Experten Sorge. So sehr, dass sie gar ein Moratorium bei der KI-Entwicklung fordern. KI-Systeme mit einer dem Menschen ebenbürtigen Intelligenz könnten «tiefgreifende Risiken für die Gesellschaft und die Menschheit» darstellen, schreiben sie in einem offenen Brief, den bereits über 3500 Personen unterzeichnet haben, darunter Prominente wie Elon Musk, Apple-Mitbegründer Steve Wozniak und Sam Altman, CEO von OpenAI, der Betreiberfirma von GPT.

Ihre Forderung: «…das Trainieren von KI-Systemen, die leistungsfähiger sind als GPT-4», sofort und für mindestens sechs Monate auszusetzen.

Bezeichnend für diese Sorge ist auch, dass Italien letzte Woche Chat-GPT vorerst gesperrt hat. Die Datenschutzbehörde machte Verstösse gegen den Daten- und Jugendschutz geltend. Und auch in Deutschland findet eine Debatte über die Regulierung von ChatGPT statt.

Faszinierend ist die KI zweifellos, doch wie fast jede neue Technologie ist sie ein zweischneidiges Schwert: Einerseits kann sie enorm nützlich sein und der Kreativität Flügel verleihen. Sogar jemand, der die handwerklichen oder technischen Fähigkeiten dafür nicht besitzt, kann seiner Fantasie freien Lauf und die KI etwas erstellen lassen. Andererseits ist sie beängstigend, denn sie birgt zahlreiche Gefahren.

Die Auswirkungen dieser regelrechten Revolution sind unvorhersehbar. Klar ist allerdings, dass sie die Gesellschaft mindestens so sehr verändern wird wie der Computer, das Internet und das Smartphone. Nun steht die schwierige Aufgabe bevor, diese digitale Explosion möglichst zu verwalten. Denn zurück in die Flasche wird sich dieser Geist nicht drängen lassen.

Jedenfalls können Sie unbesorgt sein: Dieser Text stammt von mir.

Herzlich

Konstantin Demeter

PS: Als Nachtrag noch etwas Humorvolles, das auch zeigt, dass die KI noch nicht perfekt ist. Folgende Bilder habe ich in Midjourney mit diesem Prompt erstellt: «Caricature of mad scientist Anthony Fauci with white hair as Superman flying through a lab holding a syringe in his fist, graphic novel style —ar 3:4 —v 5».

Bilder erstellt mit Midjourney

Quelle: TTV

Von admin